Revue de réflexion politique et religieuse.

Über den Spon­ta­neis­mus

Article publié le 14 Juil 2009 | imprimer imprimer  | Version PDF | Partager :  Partager sur Facebook Partager sur Linkedin Partager sur Google+

[Ges­präch im Okto­ber 2008. Franzö­sisch erschie­nen in der Aus­gabe 102 (Win­ter 2008–2009)]

Wäh­rend das west­liche Sys­tem am Ende ist, dann befin­den wir uns gegenwär­tig in einer Über­gang­szeit, deren Aus­gang aus einem Kom­plex von man­nig­fal­ti­gen Rekons­truk­tions­vorgän­gen her­vor­ge­hen sollte, worü­ber es zwe­ckmäs­sig wäre, nach­zu­den­ken. Ande­rer­seits sollte man in die­sem Zusam­men­hang die Ers­tel­lung einer Alter­na­tive erwä­gen. Zu die­sem Zeit­punkt stel­len sich zweier­lei Fra­gen : einer­seits die der Ziele (wodurch das bes­te­hende Sys­tem erset­zen ?), ande­rer­seits die der zu erwä­gen­den Aktion, um den Über­gang zu erleich­tern.
Ers­tere ruft ein Pro­blem her­vor, das mit der Man­nig­fal­tig­keit der Mei­nun­gen und deren mögli­chen Kako­pho­nie zusam­menhängt. Eine solche Situa­tion deckt die Zerstö­rung­skraft der geis­ti­gen Ord­nung­sgrund­la­gen bei denen auf, die sie natür­li­cher­weise aufrech­te­rhal­ten soll­ten, sowie die Fähig­keit zur unpar­teii­schen Suche nach der Wah­rhei­ten der Sozia­lord­nung. Es herr­scht in die­sem Bereich ein Gemisch aus Übe­ral­te­rung und Kor­ro­sion durch die Grund­prin­zi­pien des herr­schen­den Sys­tems, das auf die Bedeu­tung des Pro­blems hin­weist.
Die zweite Frage ver­weist uns auf die Theo­rie der Aktion, die einem ordent­li­chen Gesell­schaft­sauf­bau voran­geht. Sie ist umso wich­ti­ger als sie den Stol­per­stein ist, der die Pie­tis­ten oder Quie­tis­ten (einer deren schärf­sten Kri­ti­ker Gün­ter Rohr­mo­ser ist) von  aller­lei Refor­mis­ten, welche sich darü­ber einig sind, dass sie Ein­fluss auf die öffent­liche Mei­nung durch Lob­bying und Unter­wan­de­rung ausü­ben kön­nen, und Spon­ta­neis­ten, welche für  den hie­si­gen und jet­zi­gen Auf­bau von befrei­ten, sich mut­mass­lich erwei­ter­nen­den Zonen, trennt. Die letz­ten zwei Kate­go­rien gehen über die Links/Rechts Spal­tung hinaus, obwohl beide Begriffe von der Lin­ken her­kom­men, was nicht unbe­deu­tend ist. Es würde sich loh­nen diese The­men zu unter­su­chen, vor allem durch die Ana­lyse ges­chicht­li­cher und theo­re­ti­scher Vorgänge. In die­sem Bereich verfügt die Linke über ein bedeu­tendes Erb­gut, inso­weit sie sich durch die revo­lu­tionäre Theo­rie dafür inter­es­siert hat.  Im Hin­blick auf den Aus­mass der Pro­ble­ma­tik, werde ich mich auf die Ana­lyse des­sen bes­chrän­ken, was ich Spon­ta­neis­mus genannt habe, der so aus­sieht, als wäre er die aller­letzte Zuflucht von all den Enttäu­sch­ten des Akti­vis­mus. Einige Fra­gen darü­ber :

1.

Sicher ist, dass sich der Linkss­pon­ta­neis­mus auf der Basis einer Reak­tion dem Leni­nis­mus gegenü­ber ent­wi­ckelt hat, der einer Erb­schlei­che­rei der Revo­lu­tion zuguns­ten einer Elite von Beruf­sre­vo­lu­tionä­ren bes­chul­digt wurde. Wie sich aus dem oben zitier­ten Arti­kel herauss­tellt, hat die Frank­fur­ter Schule, in die Fuss­tap­fen Trots­kis und ande­rer Den­ker der Zeit zwi­schen den bei­den Welt­krie­gen wie Anton Pan­ne­koek oder Georg Lukacs tre­tend, dazu bei­ge­tra­gen, kei­nem der bei­den –dem Staats­ka­pi­ta­lis­mus sow­je­ti­scher Prä­gung und der freien Marktwirtschaft/dem Libe­ral­ka­pi­ta­lis­mus– Recht zu geben, indem sie beide des­sen bes­chul­digt hat, dass sie Herr­schaftss­truk­tu­ren aufrech­te­rhal­ten. In die­ser Nach­folge wird die kom­mu­nis­tische Revo­lu­tion als « bour­geois » kri­ti­siert, weil sie weder die Pro­duk­tions­ve­rhält­nisse noch den Unter­schied zwi­schen Unter­drü­ckern und Unter­drück­ten abges­chafft hat. Sich dazu bes­chrän­kend, eine herr­schende Klasse (das Bür­ger­tum) durch eine andere (die Par­teibü­ro­kra­tie) zu erset­zen, führt sie zur Auf­stel­lung eines Staats­ka­pi­ta­lis­mus. Inwie­weit kann der Ver­ruf der leni­nis­ti­schen Vors­tel­lung der von Beruf­sre­vo­lu­tionä­ren gelei­te­ten Revo­lu­tion die Ent­wi­ck­lung des revo­lu­tionä­ren Spon­ta­neis­mus, der behaup­tet, dass die Revo­lu­tion aus der spon­ta­nen  Aktion der sich ihrer Ent­frem­dung bewusst wer­den­den Mas­sen her­vor­geht, verständ­lich machen ? Was ist über die Ent­wi­ck­lung­se­tap­pen der spon­ta­neis­ti­schen Ideo­lo­gie von der Räte­theo­rie bis zur Arbei­ter­selbst­ver­wal­tung zu bemer­ken ? Welche sind die  psy­cho­lo­gi­schen Trieb­kräfte, die diese Ent­wi­ck­lung erklä­ren ? Indem er diese Span­nung zwi­schen Orga­ni­sa­tion und Spon­ta­neität her­vor­ruft, die in Fran­kreich viele Dis­kus­sio­nen aus­gelöst hat, ins­be­son­dere inne­rhalb der Gruppe « Socia­lisme ou bar­ba­rie » ( Claude Lefort trat für die Spon­ta­neität ein und Cor­ne­lius Cas­to­ria­dis für die Erhal­tung eines orga­ni­sier­ten Pols), ent­wi­ckelt der Spon­ta­neis­mus einen inne­ren  selbst­zerstö­re­ri­schen Widers­pruch. Aus­ser dem Fall von klei­nen Grup­pen, die sich auf­grund der bes­chränk­ten Anzahl ihrer Mit­glie­der ein­zeln orga­ni­sie­ren kön­nen, liegt das Pro­blem in der spon­ta­nen Orga­ni­sie­rung der Mas­sen, die nach der Auf­stand­sphase um der Daue­rhaf­tig­keit willen Struk­tu­ren und eine nicht-spon­tane Orga­ni­sie­rung voraus­setzt. Dies­bezü­glich stellt sich die Frage, ob der uto­pische Trä­ger des Spon­ta­neis­mus nicht etwa im Vor­bild einer auto­ma­ti­schen und ungez­wun­ge­nen Sozial­har­mo­nie liegt, die auf Adam Smiths « ver­bor­gene Hand » ver­weist, sowie auf die fou­rie­rische Uto­pie oder auch auf die Sozio­bio­lo­gie. In disem Zusam­men­hang wäre nicht der Wesens­zug des Linkss­pon­ta­neis­mus die radi­kale Ableh­nung jegli­cher Herr­schafts­form, wie sie durch den Leni­nis­mus kräf­tig und unbe­rech­tigt aufrech­te­rhal­ten wurde ?
Das andere Cha­rak­te­ris­ti­kum des Spon­ta­neis­mus bes­teht in einer Form der Unge­duld. Die Leni­nis­ten hal­ten sie für den Wesens­merk­mal des Link­sex­tre­mis­mus und des­sen revo­lu­tionä­ren Ungestüm (Mao). Der Spon­ta­neis­mus zielt auf zügige, kon­krete Ergeb­nisse und gibt des­we­gen unmit­tel­bar erkenn­ba­ren Tei­ler­run­gen­schaf­ten vor der glü­ck­li­chen Zukunft den Vor­zug. Was für eine mora­lische und psy­cho­lo­gische Schwäche tritt dadurch zutage ?

Ant­wort zu 1.:

Im Laufe der Durch­set­zung­sges­chichte der kapi­ta­lis­ti­schen Waren­ge­sell­schaf­ten wur­den immer wie­der urs­prün­gliche Eman­zi­pa­tions­be­we­gun­gen mit ent­schie­den sys­te­mop­po­si­tio­nel­lem Ans­pruch als Weg­be­rei­ter neuer Ent­wi­ck­lun­gen his­to­risch wirk­sam. Von der alten Arbei­ter­be­we­gung bis zur stu­den­ti­schen Revolte von 1967/68 haben sie letzt­lich dem zum Durch­bruch verhol­fen, was den Erfor­der­nis­sen waren­ge­sell­schaft­li­cher Moder­ni­sie­rung ents­prach. Weil die anti­ka­pi­ta­lis­tisch gesinn­ten Pro­ta­go­nis­ten den nächs­ten ener­gi­schen Schritt hin zur Verall­ge­mei­ne­rung der Waren­form per­ma­nent mit der dro­hen­den Auf­he­bung kapi­ta­lis­ti­scher Herr­schaft ver­wech­sel­ten, konn­ten sie ihre imma­nent vorwärts­trei­bende Rolle nur gegen den erbit­ter­ten Widers­tand der Ver­tei­di­ger des Staus quo spie­len. Die müh­sam erkämpfte Aner­ken­nung als legi­time soziale Bewe­gung mar­kierte dann jeweils den Punkt, an dem die linke Oppo­si­tion vom Out­law zum Teil der reor­ga­ni­sier­ten und moder­ni­sier­ten waren­ge­sell­schaft­li­chen Ord­nung mutierte und ihre über­schüs­si­gen leni­nis­ti­schen Momente abzus­trei­fen begann.
In die­ser Situa­tion trat der Links-Spon­ta­neis­mus auf den Plan und wich vom die­sem ver­trau­ten Mus­ter ent­schei­dend ab, in dem er ein­deu­tig klars­tellte, daß der nos­tal­gische Rekurs auf eine bereits abges­chlos­sene Epoche eben kei­nen neuen Ent­wi­ck­lung­sho­ri­zont eröff­net und beim bes­ten Willen auch nicht mehr mit einem Hinaus­ge­hen über die kapi­ta­lis­tische Ord­nung zu ver­wech­seln ist, wie es bei dem großen, wesent­lich aus dem Kampf der alten Arbei­ter­be­we­gung miter­wach­se­nen Eta­ti­sie­rung­sschübe der ers­ten Hälfte des letz­ten Jah­rhun­derts noch der Fall war.
Weil der Spon­ta­neis­mus, zu dem natür­lich auch die refor­mis­ti­schen Glo­ba­li­sie­rung­sge­gner von Attc & Co. zu zäh­len sind, jedoch nicht in der Lage ist, eine radi­kale Gesell­schafts- und Wert­kri­tik, und am aller­we­nig­sten eine Kri­sen­theo­rie zu for­mu­lie­ren, führt er sich nur selbst hin­ters Licht. Das Gip­fel-Hop­ping wird sich eher über kurz denn über lang tot­lau­fen, glei­ch­zei­tig tum­meln sich in der gesam­ten spon­ta­neis­ti­schen Bewe­gung Heer­scha­ren von Obs­ku­ran­ten, Schar­la­ta­nen und Sek­tie­rern jegli­cher Coleur, und der Nach­weis, daß die dürf­ti­gen Kon­zepte des Spon­ta­neis­mus mit der Mar­x­schen Theo­rie des Kapi­tals im All­ge­mei­nen nicht zur Deckung zu brin­gen sind, ist leicht zu füh­ren. Ana­lyse durch die Demons­tra­tion guten Willens und mora­lische Appelle zu erset­zen, um damit auf die Tit­tel­sei­ten der Zei­tun­gen zu kom­men, beweist letzt­lich doch nur, wie intel­lek­tuell herun­ter gekom­men diese gegen die Fak­ten und logi­schen Regeln des Marktes und der Öko­no­mie argu­men­tie­rende und agie­rende Bewe­gung ist. Doch stellt der Spon­ta­neis­mus nicht die „Kin­der­kran­kheit des Kom­mu­nis­mus“ dar, wie Lenin dies dem Link­sex­tre­mis­mus nicht ganz zu Unrecht unters­tellte, viel­mehr ist er eine Son­der­form des Link­sex­tre­mis­mus. Die „Span­nung zwi­schen Orga­ni­sa­tion und Spon­ta­neität“ liegt dabei sicher auch in den Gegensät­zen zwi­schen einer gewis­sen mar­xis­ti­schen Ortho­doxie, für die es immer eine „gute Seite“ der tech­ni­schen Ent­wi­ck­lung des Kapi­ta­lis­mus zu ret­ten gilt (mikroe­lek­tro­nische Revo­lu­tion) und einer gegen­ge­sell­schaft­li­chen Praxis, die ver­sucht, sich die vita­len Kräfte des Men­schen anzuei­gnen, indem sie die Maschi­ne­rie zerstört, die diese para­ly­siert.

2.

Inwie­weit mag 1968 –wenn nicht gar expli­zit, so doch impli­zit, im Sinne der Unei­nig­keit einer eine Viel­zahl von Grup­pie­run­gen zusam­menfüh­ren­den Bewe­gung– als der Höhe­punkt des Spon­ta­neis­mus gel­ten ? Was ver­bin­det die spon­ta­neis­tische  Dur­ch­drin­gung mit der Tat­sache, dass die ach­tund­se­ch­zi­ger Revo­lu­tion schliess­lich zur gesell­schaft­li­chen Inte­gra­tion der Meh­rheit ihrer Kader geführt hat ? In sei­nem Buch L’archéologie d’un échec (Seuil, 1993) hat der franzö­sische Sprach­wis­sen­schaft­ler Jean-Claude Mil­ner darauf hin­ge­wie­sen, dass die Moderne in ihrer Spät­phase durch den Ver­zicht auf die Kom­pro­miss­lo­sig­keit und die Über­nahme der refor­mis­ti­schen Methode gekenn­zeich­net wird. Auf­grund seines uto­pi­schen Cha­rak­ters zum Schei­tern verur­teilt, wäre der Spon­ta­neis­mus in sei­ner revo­lu­tionä­ren Prä­gung nur eine Zwi­schens­ta­tion zum all­ge­mei­nen Refor­mis­mus. Damit wäre das Vermächt­nis des Spon­ta­neis­mus ein Dop­pel­vermächt­nis : als Poli­ti­kum würde es den Weg für den Refor­mis­mius frei machen ; als Uto­pie (eine andere Gesell­schaft auf­bauen) würde es zur Ghet­toi­sie­rung und zum Kom­mu­ni­ta­ris­mus füh­ren. Auf jeden Fall wird auf das Ziel der sozia­len Umges­tal­tung ver­zich­tet und das Poli­tische abge­lehnt. In die­ser Hin­sicht stellt sich die Frage nach dem Anteil des Spon­ta­neis­mus an dem sozia­len Zusam­men­bruch und der Ent­wi­ck­lung neuer For­men von Bür­ger­krieg. Es sieht alles so aus, als hätte sich das Wesen des Bür­ger­kriegs gründ­lich verän­dert. Die Kon­fron­ta­tion von  zwei iden­ti­fi­zier­ba­ren Blö­cken (Kirche gegen Lai­zis­mus, Kom­mu­nis­mus gegen Kapi­ta­lis­mus) wird durch die Ver­meh­rung der Guer­rillas und der  nicht inten­si­ven Kon­flikte ersetzt.

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